Text zur Ausstellung – Maria Luise Faber: In Bewegung

http://dabakh.com/?cev=ch%C3%A2teaugiron-ou-rencontrer-des-filles&bfd=1e rencontre cinema Maria Luise Faber, In Bewegung. Skulpturen und Zeichnungen

http://lebonheurenmarche.fr/wp-content/plugins/ccx/ Maria Luise Faber ist eine Bildhauerin, die bevorzugt mit der Linie arbeitet. Linie und Skulptur sind durchaus konträre ästhetische Phänomene: Die Skulptur steht für Körper und Raum, also Volumen, greifbare Realität und Statuarik – die Linie hingegen steht für eine minimale und abstrahierte Wiedergabetechnik und ist deutlich für stärkere Bewegung und Beweglichkeit bis hin zur Flüchtigkeit und Formauflösung prädestiniert. 

Der Aufbau aus linearen Elementen lässt die Skulpturen der Künstlerin durchlässig werden, es entstehen räumliche Gebilde mit einer netzartigen und offenen Struktur, die man als Gerüst bezeichnen kann, und die zwischen Innen- und Außenraum kommunizieren. Beispiele sind die innen hohlen Zapfentürme, die der ineinander geschachtelten Wuchsform der Fichtenzapfen nachempfunden sind. Durch die Wiederholung der einzelnen Formsegmente entsteht ein technoider Aufbau, der eher an den Eiffelturm als an Naturvorbilder erinnert. Um 1900 hat der Universalgelehrte und Zeichner Ernst Haeckel seine Schriften „Kunstformen der Natur“ verfasst, in denen er die Symmetrie der Blüten und Blattformen und die Ordnungssysteme der organischen Welt beginnend mit den Einzellern zu Kunstformen erklärte und sie zeichnerisch darstellte. Auch Maria Luise Faber hat einen durchaus wissenschaftlichen und forschenden Ansatz, indem sie die Einzelformen der Natur studiert, analysiert und daraus eine lineare Struktur filtert, die räumlich umgesetzt wird. 

Die Umsetzung in eine künstlerische Form, die die Gesetzlichkeit des Wachstums in Gestalt von Wiederholung und Erweiterung der entdeckten und gleichsam aus der Natur gefilterten Elemente zelebriert, lässt dann das endgültige Kunstwerk entstehen. So ist es auch in der Skulptur „Florale Verzweigung“, die das Astwerk der Bäume thematisiert und zugleich in geordnete, sich wiederholende Grundelemente überführt. Dieses systemische Arbeiten und Forschen ist für die Künstlerin charakteristisch und lässt Kunstformen entstehen, die sich gleichnishaft zur Natur verhalten und die geeignet sind, selbst komplexe und sich stets verändernde Bewegungsrhythmen in der Natur, wie den Wellengang oder den Vogelschwarm einzufangen.

Eine ähnlich zeichnerisch forschende Hand entwickelt die Künstlerin bei den Reflexionen der technischen Bereiche, indem sie beispielsweise in der Werkgruppe Transmission den Bewegungsmustern aus der Welt der Mechanik nachspürt. Als Bildgrund dienen alte Formulare aus den in der Wendezeit abgewickelten Betrieben und Formbögen der Maschinen-  und Handwerkskunde und geben die technische Realitätsebene vor. Durch Einzeichnungen und Hervorhebung der Bewegungsmodule werden Drehmomente und Kraftübertragungen sichtbar gemacht und finden die innere Dynamik und die Bewegungsformen der technischen Welt ihren bildlichen Ausdruck.

Diesen Zeichnungen sind die Reliefs der Werkgruppe Transmission zugeordnet. In ihnen übertragen lineare Transmissionsriemen die Kräfte über frei konstruierte Räder- und Laufwerke. Welche Welt wird hier reflektiert und auch stilisiert?  Die mechanische Welt der klassischen europäischen Industriekultur, die zunehmend im Verschwinden  begriffen ist und von der digitalen Welt und der künstlichen Intelligenz abgelöst wird. Die von der Künstlerin benutzten Papierformulare sind bereits Relikte einer vergangenen Industriekultur und ihnen haftet der Charme des Handwerks und der einfachen Fertigung an. Ähnliches gilt für benutzte Bankformulare, Frachtbriefe und Protokollbögen, in denen das Hin und Her von Waren und Valuta einst von Hand oder mit der Schreibmaschine aufgezeichnet wurde.

Die Objekte und Reliefs sind aus Keramik gefertigt. Diese Herangehensweise bzw. künstlerische Ausdrucksform unterliegt weder einer Mode noch ist sie ein Zufall, sondern entspringt eher einer biografischen Folgerichtigkeit, da die Künstlerin vor dem Studium den Töpferberuf erlernt hat und mit dem Werkstoff Ton und seinen Verarbeitungsverfahren bestens vertraut ist. Auch mit seinen unüblichen Gestaltungsmöglichkeiten geht sie souverän um, indem sie dünn ausgerollte Formen zu den linearen Skulpturen-Gerüste zusammenfügt oder bandartige Windungen und Schlaufen entstehen lässt. In der Oberflächenbehandlung dominiert die weiße oder mattfarbige Engobe, die bisweilen zur Verdeutlichung des Bewegungsverlaufs eine weiße Linie trägt oder an den äußeren Schnittstellen farbige Punkte enthält. Für mehr kompakte Skulpturen, wie die kantige Konstruktion „Offener Kreis“, wählt sie das typische graue Rheinische Steinzeug. In dem zweiteiligen Rundobjekt „Achsenform“ erinnert das Steinzeug mit Anflugglasur an die alte Töpfertradition. 

Eine Reihe Landschaften besteht aus weißen Linienzügen auf schwarzem Grund. Die Linien verlaufen rhythmisch, führen zu Ballungen und Aufgipfelungen, ebben wieder ab, aber sind niemals unterbrochen. Sie machen den Energiefluss in der Natur sichtbar und vermitteln dem Betrachter ein intensiveres, gleichsam energetisches Erleben des Natur- und Landschaftsraumes.

Auf der collagierten Zeichnung „Geborgte Säule“ wird die Fotografie einer griechischen Säule mit verschiedenen vertikalen Wuchsformen kombiniert und eine Ambivalenz zwischen Kunstform, biologischer Wuchsform und technischem Produkt wird sichtbar. Solche Übertragungsmuster zielen auf einen allgemeingültigen Formenkanon, in dem Naturform, Technik und Kunstform keinen Gegensatz mehr bilden, sondern Parallelen und Analogien gleichsam fließende Übergänge erkennen lassen.

Karla Bilang