Karla Bilang – Kerstin Seltmann: Brandenburger Bildwelten

sa réponse Kerstin Seltmann: Brandenburger Bildwelten 

ce Die aus Ostberlin kommende Malerin Kerstin Seltmann lebt und arbeitet in dem Dorf Kemlitz bei Baruth, einem entfernten Ausläufer des Spreewaldes, wo das Urstromtal in die flachen Hügel des Fläming übergeht. Sie widmet sich dem dörflichen Naturraum mit seinen tierischen und pflanzlichen Bewohnern als einer ambivalenten Daseinsform, ein Sein zwischen den Welten, ein Biotop auf der Suche nach sich selbst. Die Skizzen, Zeichnungen, Übermalungen und „fertigen“ Bilder sind eine durchaus zwiespältige Hommage an das Dorfleben mit seinem Getier und den Gewächsen, den weiten Horizonten, dunklen Gehölzen und alten Gehöften, denn die tieferen kulturkritische Schichten werden nicht ausgespart. Nicht nur Bilder wie „Wolfsjagd“ stellen klar, dass es die ländliche Idylle oder den reinen Naturraum nicht gibt. Pflanzen und Tiere werden durch die moderne Landwirtschaft in ihrer Daseinform und in ihrem Lebensraum geprägt und beeinträchtigt. 

vérifier mon site Es sind einerseits bildliche Inszenierungen und andrerseits intime Re-Vitalisierungen der brandenburgischen Provinz, die sich abseits vom herkömmlich Naturschönen auf die malerischen Besonderheiten des Landschaftlichen einlassen. Ich fühle mich an Chagall erinnert: Das Dorf und Ich, der betrunkene Kutscher, die Kuh auf dem Dach, der Esel – eine Welt der Geschöpfe mit einem magischen Eigenleben, das trotz allem unabhängig vom Menschen und dessen Zuschreibungen existiert. Ähnlich autonom geht es in Seltmanns Bildwelten zu: Da ist der Vogel, der selbstvergessen in Lüften schwebend auf die weiten Gefilde der Landschaft unter sich schaut, oder die Blindschleiche im grünen Dickicht des Teichufers, der Gartenrotschwanz, der von einem Wurm träumt; da sind Wolf, Bienen und Insekten in Kokons, Samenkapseln, Blütenknospen und bäuerliches Gerät in skizzenhaften momentanen Niederschriften zu finden. 

Mit Bienen, Wolf und Hase grüsst Beuys aus der Ferne. Was aber kennzeichnet den seltmannschen Hasen … Ihm braucht man keine Bilder zu erklären, er sitzt mitten im Bilde, groß im Querformat der weiten Landschaft, neben sich zwei sprießende Krokusse und weiter hinten die flüchtige Gestalt eines Pferdes mit dunklem Schweif und erhobenem Kopf. Es ist eine intime Szenerie, eine Welt für sich, belauscht aus der Froschperspektive. Die Konturen der Landschaft sind mit gleichermaßen lapidarem wie exaktem Strich gezogen und klar in Vorder- und Hintergrund gegliedert. Die Intensität des Arbeitens ist jeweils unterschiedlich: Während Pferd und Pflanzen als beigeordnete Akteure flüchtig hingeschrieben sind, ist der Hase stark verdichtet. Er wächst aus mehrmaligen Überzeichnungen zu skulpturaler Geschlossenheit und wird so mit bildnerischer Aufmerksamkeit aufgeladen. Seine Haltung ist konzentriert und schon fast statuenhaft, während Pferd und Blumen skizzenhaft bleiben – das Pferd in einer mehr eckig gebauten Gestalt, die Pflanze im reinen Linienfluss. So entsteht innerhalb des Bildzusammenhangs eine Bedeutungsperspektive bzw. eine besondere Zuschreibung. 

Viele der kleinformatigen Mischtechniken von Kerstin Seltmann sind skizzenhaft angelegt, gehen den unscheinbaren Spuren nach, greifen Bestimmtes auf und intensivieren es durch nachträgliches Überarbeiten. Der Gesamteindruck der Studie oder des Bildes bleibt so lebendig und möglichen Veränderungen unterworfen wie auch die Natur im ständigen Wechsel existiert. 

In dem Panoramabild „Kemlitz“, das mit den Maßen von 65 cm Höhe und 560 cm Länge schon fast an ostasiatische Querrollen erinnert, dominieren grafische Strukturen und der Wechsel von Perspektive, gegenständlicher Lesbarkeit und zeichenhaften Andeutungen. Die Linie ist hauptsächlicher Bildträger und gibt den Rhythmus vor. Ihr sind Dunkelheiten und Grauwerte spannungsvoll zugeordnet. Der Sinn für Gebautes lässt in der ländlichen Szenerie immer wieder Architektonisches als Angelpunkte hervortreten, die von verwirrendem Wildwuchs unterbrochen werden. So entsteht ein in sich schlüssiger Wechsel von Ordnung und Chaos, von Urbanität und Vegetabilität. Die Farbe wird sparsam und eher kolorierend eingesetzt mit hell ausgemischten Grüntönungen und Rosa oder als kleinteiliges blassrotes Fanal.

Karla Bilang, Januar 2022